Seit jeher kommen Familie und Freunde am Küchentisch zusammen. Nicht nur das gemeinsame Essen, auch der Austausch von Geschichten, Musik und Kunst schafft auf unglaubliche Weise eine Verbindung zwischen den Menschen – und genau so fühlt es sich bei der „Perlage Experience“ von Borealis Beading an, einer Reise zu den Métis! Wenn die Besucher hier ankommen, haben sie zumeist noch keine besondere Verbindung zu den Métis oder zu den anderen Teilnehmern. Am Abend verlassen sie den Workshop jedoch mit dem wohligen Gefühl, willkommen gewesen zu sein, mit einem gesättigten Magen und vielen neuen Geschichten im Gepäck.
Die Métis sind Nachfahren europäischer Pelzhändler – insbesondere aus Frankreich, England und Schottland – und Frauen indigener Abstammung und bilden eine eigene indigene Gruppe.
Nur 45 Minuten südöstlich von Winnipeg, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba, liegt in der Region Eastman und damit im Heimatland der Métis das Atelier für Perlenstickerei von Melanie Gamache: Borealis Beading. Die Gäste werden hier mit Tee aus lokalem Anbau (je nach Wetterlage Eistee oder heißer Tee), Métis-Musik und einem schön gedeckten Tisch begrüßt. Das perfekte Setting für das 5-stündige „Perlage“-Erlebnis voller Kunsthandwerk, Geschichten, Natur und leckerem Essen.
Storytelling
„Perlage“ steht im Deutschen für Perlenstickerei. In Melanies Workshop geht es jedoch um weit mehr als die aufwändige Nadelarbeit! Als sie vor einigen Jahren begann, sich mit der Kunst des Perlenstickens zu beschäftigen, stellte sie fest, dass diese Technik nur von wenigen Menschen gelehrt wurde. Und es gab noch viel weniger Menschen, die die Geschichten hinter dieser Kunst erzählten. Und genau hier setzt Melanie an: das sogenannte „Storytelling“ zieht sich durch das gesamte „Perlage“-Erlebnis.
Melanie hat viel zu berichten! Mit viel Tatkraft hat sie tief nach ihren eigenen Wurzeln gegraben und dabei Schriftstücke gefunden, die ihre Vorfahren betrafen. Sie hat ihre Familienabstammung zurückverfolgt und dabei mehr über ihre eigene Verbindung zu den Métis erfahren. All das erzählt Melanie am großen Küchentisch in der schattigen Gartenlaube gleich zu Beginn des Workshops. Sie berichtet von der großen Bedeutung aller Métis – nicht nur derjenigen, die von Louis Riel und Gabriel Dumont, den großen Métis-Anführern des 19. Jahrhunderts, abstammen, sondern auch von Familien wie ihrer, die Gärtner, Bauern oder Handwerker waren.
Inmitten der Natur
Das Atelier von Borealis Beading liegt idyllisch inmitten eines dichten Espen- und Eichenwaldes. Während die Teilnehmer des Workshops am Rand ihres Grundstücks spazieren gehen, zeigt Melanie ihnen die Pflanzen, die im Laufe der Jahrzehnte eine wichtige Rolle für die Ernährung, Medizin und Kunst der Métis gespielt haben. Der Amerikanische Schneeball, auch Cranberry-Strauch oder Highbush Cranbery genannt, wurde beispielsweise für die Herstellung des sogenannten Pemmikans verwendet – ein wichtiges Nahrungsmittel für Reisende während der Pelzhandelsära. Die Prärie- oder Nadelrose wird zur Herstellung von Hagebuttentee verwendet, einem wichtigen Vitamin-C-Lieferanten. Aus der Rotweide hingegen werden Körbe geflochten und der Manitoba-Ahorn wird für seine sirupartige Süße angezapft.
Perlenkunst
Die große Bedeutung dieser Pflanzen spiegelt sich ganz charakteristisch in der Perlenstickerei der Métis wider. Auch die Blumen und Beeren von den Sträuchern in Melanies Garten finden ihren Weg auf die Arbeitsfläche auf der überdachten Veranda: Sie werden hier jedoch durch bunte Glasperlen repräsentiert, die als verschlungenen Ranken, fünfblättrige Blüten, Beeren, Insekten und Tiere auf Leder genäht werden und den Stoff förmlich zum Leben erwecken. Die fünfblättrigen Blumen, die in der Perlenstickerei der Métis besonders häufig vorkommen, sind höchstwahrscheinlich von der Wildrose inspiriert und der Grund dafür, dass die Métis manchmal auch als Volk der „Flower Beadwork People“, also Blumenperlensticker, bezeichnet werden.
Seitdem Melanie im Winter 2014 das Perlensticken von einer Freundin erlernte, feilt sie an ihren Fertigkeiten. Die investierte Zeit hat sich ausgezahlt und zeigt sich in der Raffinesse ihrer wunderschönen Designs!
Für Neulinge im Perlensticken wählt Melanie während ihres Workshops geeignete Anfängerprojekte aus. Die Sets enthalten ein Stück Stoff, das zwar ein wenig wie Leder aussieht, aber viel leichter zu verarbeiten ist, eine bunte Auswahl mittelgroßer Perlen, eine Nadel und einige längere Stoffstreifen. Hieraus wird ein kleiner „Memory Bag“ für die liebsten Erinnerungen. Das Täschchen ist einem Medizinbeutel nachempfunden, der von einigen Métis und First Nations zum Aufbewahren heiliger Gegenstände verwendet wird. Um den Hals getragen, sind die Heiligtümer dem Herzen besonders nah.
Perlenstickerei wurde und wird auch heute noch als eine Form der Meditation angesehen. Schon bei der „Perlage-Experience“ werden die Teilnehmer ganz ruhig. Sie arbeiten still und konzentriert mit Nadeln und Perlen an ihren Projekten, während Melanie Geschichten erzählt und die Entwicklung der Perlenstickerei im Laufe der Zeit erläutert.
Melanie empfiehlt, zusammen mit den Perlen auch positive Energie mit einzusticken. Durch die einladende Atmosphäre bei Borealis Beading ist das ganz einfach!
Gemeinsames Essen
Das indigene Erlebnis in der Welt der „Flower Beadwork People“ endet mit einer geselligen Mahlzeit. Nach einem gemeinsam verbrachten Tag voller Storytelling, Pflanzenlehre und Kunst, scheint das gemeinsame Essen am Küchentisch, an dem man zu Beginn so herzlich begrüßt wurde, das Natürlichste der Welt zu sein. Lokal hergestelltes Bannock, Bisonfleisch, Honig, Marmelade und Käse werden auf einer „Métis-Platte“ gereicht und zusammen verspeist. In gemütlicher Runde bietet sich die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich über die Erfahrungen dieses außergewöhnlichen Workshops auszutauschen.
Weitere Informationen über Manitoba gibt es bei www.borealisbeading.ca sowie unter www.travelmanitoba.com.
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